Arbeitende sammeln Eicheln in einem Saatgutbestand.

Fünf Tonnen Zukunft – erfolgreiche Saatguternte im Stadtwald Braunfels

Zwölf Menschen, zwei Tage, 210 Säcke: Aus dieser Ernte wachsen hunderttausende junge Eichen für unsere Region.

Wer einen jungen Baum in der Hand hält, ahnt selten, wie viel Arbeit darin steckt. Wie viele Hände im Einsatz sind, bevor eine Eiche überhaupt gepflanzt werden kann? Eine Antwort darauf geben einige Oktobertage im Stadtwald Braunfels.

Mitte Oktober 2025 haben Mitarbeitende zweier Baumschulen aus Nord.- und Süddeutschland in Abteilung 124 des Stadtwaldes Braunfels rund 4.800 Kilo Stieleicheln gesammelt – von Hand, ohne schwere Technik. Die Eicheln gingen direkt an die Baumschulen Lürsen in Beverstedt und Sailer in Mertingen. Dort wachsen aus dieser Menge etwa 480.000 junge Eichen heran – genug für rund 60 Hektar neue Eichenbestände und Mischwälder in der Region und ganz Deutschland.

Die Ausgangslage: Wald im Wandel, Pflanzen knapp

Die Folgen der Dürrejahre sind nach wie vor sichtbar. Viele geschädigte Flächen sind noch nicht vollständig wiederbewaldet. Statt junger Bäume dominieren dort häufig Gras oder Brombeeren, was jede Pflanzung erschwert. Gleichzeitig sind passende Jungpflanzen knapp, überall in Deutschland werden Bäume gesucht, die zu den jeweiligen Standorten passen.

Eichen stehen dabei ganz oben auf der Liste: Sie kommen mit Hitze und Trockenheit vergleichsweise gut zurecht, spenden Schatten, fördern die Artenvielfalt und machen unsere Wälder insgesamt stabiler. Aber was nützt die beste Baumart, wenn es an Nachschub fehlt?

Hinzu kommt: Eichen tragen nicht in jedem Jahr voll. Zwischen guten Eicheljahren können mehrere Jahre liegen. „Wenn ein solches Jahr kommt, müssen wir schnell sein“, erklärt Förster Roland Klemm vom Forstamt Weilmünster. „Sonst sind die Hirsche, Rehe und Wildschweine schneller – dann ist die Ernte weg, bevor sie im Sack landet.“

Handarbeit im Hang – anstrengend, aber bewährt

Die Arbeit im Bestand ist körperlich fordernd. Viele Säcke wiegen 20 bis 30 Kilo und müssen über 200 Meter und mehr aus dem Hang getragen werden – bei Nässe, über unebenen Boden, durch Laub und Geäst.

Trotz aller Mühe hat sich diese Form der Ernte bewährt. Die Eicheln werden mit bloßen Händen unter dem Laub aufgelesen. Das schont den Waldboden, vermeidet Beschädigungen und sorgt für sauberes Saatgut. Auch moderne Technik hat diese Methode bis heute nicht ersetzt.

Bezahlt wird nach Kilogramm. In einem Jahr mit vielen kleinen Eicheln bedeutet das besonders viele Handgriffe – angenehmer wird die Arbeit dadurch nicht. Aber sie legt die Basis für die Wälder von morgen.

Zwei Hände schöpfen Eicheln.
Eicheln - Saatgut mit Qualität und Herkunft

Qualität und Herkunft: Saatgut mit Stammbaum

Die Ernte in Braunfels stammt aus einem amtlich zugelassenen Erntebestand. Jede Partie wird mit einem Stammzertifikat versehen. Es begleitet die Eicheln vom Mutterbestand bis in die Baumschule und stellt sicher: Herkunft und Qualität sind nachvollziehbar.

Rechtsgrundlage ist das Forstvermehrungsgutgesetz – die Qualitäts- und Herkunftsregel für Baumsamen und Jungpflanzen in Deutschland. Zusätzlich wird von jeder Partie eine sogenannte ZÜF-Probe genommen: eine versiegelte Stichprobe, mit der ein unabhängiges Labor bei Bedarf per genetischem Fingerabdruck nachweisen kann, dass die Eicheln tatsächlich aus dem angegebenen Bestand stammen.

Ein Stammzertifikat, ZÜF-Probe, Labor, genetischer Fingerabdruck – warum dieser Aufwand für ein paar Eicheln? Roland Klemm bringt es auf den Punkt:

„Bäume wachsen in langen Zeiträumen. Was wir heute aussäen, prägt den Wald für Jahrzehnte. Wenn die genetische Herkunft nicht zum Standort passt – etwa bei Hitze, Trockenheit oder Spätfrost – sehen wir die Probleme oft erst Jahre später, manchmal erst in der nächsten Förstergeneration.“

Herkunftsgesichertes Saatgut ist damit kein Formalismus, sondern Risikomanagement über Generationen. Es erhöht die Chance auf stabile, widerstandsfähige Bestände – und schützt Budgets, Arbeitszeit und die Akzeptanz in der Öffentlichkeit.

Eicheln in Säcken zum Transport
Der Weg in die Baumschule. Eicheln in Säcken zum Transport.

Der Weg in der Baumschule

Nach der Anlieferung werden die Eicheln gereinigt und feucht gehalten. Je nach Partie werden sie entweder noch im Herbst ausgesät oder kühl-feucht gelagert und im Frühjahr ausgesät. Wichtig ist: Eicheln dürfen nicht austrocknen. In der Baumschule kommen sie 2- bis 3 cm - tief in ein feinkrümeliges Saatbeet, werden abgedeckt und vor Vögeln und Nagern geschützt. Mit gleichmäßiger Bewässerung und regelmäßiger Pflege keimen sie zügig; aus der Braunfelser Ernte wachsen so Jungpflanzen für die Wälder von morgen. 

Nach der ersten Vegetationsperiode – also im folgenden Herbst oder im darauffolgenden Frühjahr – können die jungen Eichen bereits in den Handel gehen. Je nach Standortbedingungen im Wald bleiben sie teils ein weiteres Jahr im Beet und werden dann als zweijährige Pflanzen verwendet.

Zurück in den Stadtwald – und hinaus in die Republik

Ein Teil der aus Braunfels stammenden Jungpflanzen wird in etwa zwei Jahren in den Stadtwald zurückkehren und dort vorhandene Forstkulturen ergänzen. So schließt sich der Kreis: vom Samen unter dem Laub bis zur jungen Eiche in der Kultur.Die übrigen Bäume stehen für alle zugelassenen Regionen in Deutschland zur Verfügung und tragen auch außerhalb von Braunfels dazu bei, Wälder klimastabiler zu machen.

Im Wald bekommen die jungen Eichen einen Verbissschutz und werden konsequent gepflegt – mindestens fünf Jahre lang. Gras, Brombeeren und andere Konkurrenz werden regelmäßig entfernt. Erst wenn sich die Pflanzen durchgesetzt haben, sprechen Försterinnen und Förster von einer „gesicherten Kultur“ – dem belastbaren Fundament für die nächsten rund 200 Jahre.

Wer heute Eicheln sammelt, sorgt also dafür, dass auch kommende Generationen noch im Schatten stabiler Eichenwälder wandern können.

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